Liebe Leserinnen und Leser,
Wilhelm Roskamm sieht mit Deleuze in der Begegnung das Werden. Jede Begegnung trägt einen Charakter der Veränderung, ein Werden in sich. Sich zu begegnen ist somit dem mächtigen Fluss des Lebens eingeschrieben, in einer Art Unvorhergesehenheit geschieht es und trägt uns davon. Mit großem Brausen oder fast unmerklich, still und ruhig. Der Fluss hat viele Gesichter. Die Begegnung findet täglich statt, unter Menschen, unter Tieren, Pflanzen und all ihren Umkreisungen und ist in ihrem Täglichsein eine Anbindung an die Dauer oder um es mit Deleuze zu sagen, eine Linie von Werden, Vermählung und Begegnung.
Die Begegnung schafft ein Aufeinandertreffen von Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten, eine Mischung aus Konsonanzen und Dissonanzen und entstehende Klänge, Farben, Formen, Rhythmen lösen ein je geartetes Befinden aus, welches weiterträgt.
Der lange Fluss des Lebens überlässt uns sein Spiel.
Im Heft finden Sie ein Stück Weg von jedem: der Wiener Lukas Pusch ist in Afrika, in einem weißen Anzug steht er im Slum und setzt sich in Szene. Die entstandenen Fotografien kombiniert er mit Slogans aus Werbung und Konsum und lässt der Provokation ihren Lauf. Thomas Zika steht auf dem Berg, auf dem Mont Ventoux: in seiner Fotoedition Hierogamos begegnen sich Himmel und Erde. Ewa Wolanska trifft Menschen und stellt ihnen drei bis vier Fragen, zeichnet die Antworten mit dem Aufnahmegerät auf und beendet die förmliche Begegnung mit einer Porträtaufnahme des Gegenübers mit ihrer Plattenkamera. Markus Scheuner lässt Begegnungen in Tinte fließen. Die Tinte aus seiner Hand schafft sensible, fliehende Zeichnungen, die in der Verbindung zu den nur scheinbar am Rande geschriebenen Worten an intimer Kraft gewinnen. Grit Scholz begegnet Frauen an ihrer verborgensten Stelle und lichtet sie ab, um sie schließlich in einem Bildband als LebensGut und Ode an die Formenvielfalt und Schönheit der Natur zu präsentieren. Stevan Paul begegnet Hansen, der noch immer auftischt, wie es damals bei der alten Dame war: dicke Zungenscheiben, Kartoffelmus und Gurkensalat, angemacht mit Kondensmilch und Dill, mit der ganzen Familie am Tisch. Juliette Guttmann am Ende der Welt begegnet den elementaren Dingen des Lebens: / Sehe dem Feuer beim Brennen zu /. Julie Metzdorf widmet sich in einem kleinen, kunstgeschichtlichen Parcours unserem geliebten, gefürchteten Narziss.
Und dann ist da auch noch der Nordwind, der mit seinem Rauschen Herzen öffnet und Märchen bringt, aus längst vergangenen Zeiten, mit Schatztruhen in alten Verliesen.
Tanja Porstmann |